Das „Staunen über eine unentdeckte Komplexität.“
Dass Metal ein Phänomen ist, mit dem sich eine wissenschaftliche Auseinandersetzung lohnt, ist inzwischen auch an deutsche Unis vorgedrungen. Im Juni 2010 fand daher die hierzulande erste Tagung zum Thema Metal statt. Es sollte „eine Leerstelle der Kultur- und Medienwissenschaft“ ausgefüllt und „die Komplexität des Phänomens Metal“ herausgestellt werden. Ende 2011 ist im Lit-Verlag der zugehörige Tagungsband erschienen, in dem die Beiträge der Teilnehmer versammelt sind. Auch wer nicht bei der Tagung an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig war, kann sich jetzt also selbst ein Bild davon machen, was es von wissenschaftlicher Seite zum Thema Metal zu sagen gibt.
In der Einleitung gehen die Herausgeber, Rolf F. Nohr und Herbert Schwaab, auf das Misstrauen ein, dass beim Thema „Metal und Wissenschaft“ leicht aufkommen kann – die Angst des Fans, dass der Metal „kaputt-theoretisiert“ werden könnte. Nohr und Schwaab halten dagegen, dass es ihnen nur darum ginge, durch den „anderen Blick“ auf den Metal diesen einfach besser zu verstehen, „im Sinne eines Wunsches, begreifen zu wollen, was einen ergreift.“
Das Buch ist in fünf Sektionen aufgeteilt, die die 28 Beiträge von Wissenschaftlern aus den verschiedensten Disziplinen (z.B. Sprach-, Musik- Medienwissenschaften, Pädagogik, Geschichte…) thematisch verklammern. Die einzelnen Sektionen zu den Themen Ästhetik, Codes, Ethnografie – Musikalität und Vollzug – Metal vs. Moderne – Glocal Metal und Politik und Kultur des Heavy Metal beginnen jeweils mit einer einleitenden „Fokussierung“, durch die die einzelnen Beiträge auf das Oberthema der Sektion bezogen werden.
Die Beiträge selbst nehmen den Metal aus den unterschiedlichsten Perspektiven in den Blick, entsprechend den diversen Fachrichtungen, aus denen die Autoren stammen: Der Musikwissenschaftler Dietmar Elflein analysiert die musikalische Sprache des Metal und führt so vor Augen, was man eigentlich hört, wenn man Metal hört. Damit betritt er auf dem Gebiet der Musikwissenschaft absolutes Neuland.
Auch von Historikerseite gibt es Aufschlussreiches zum Thema: Carolin Frickes Beitrag über „Heavy Metal in der DDR-Provinz“ vermittelt einen Eindruck von der politischen Sprengkraft des Metal, dessen „bloße Existenz (…) der postulierten gesellschaftlichen Harmonie“ in der DDR widersprach.
Manche Autoren schienen aber nicht so richtig zu wissen, was sie in ihren Aufsätzen eigentlich vorhatten. Der Beitrag von Birgit Richard und Jan Grünwald über „Wilde Männer, frostige Räume und asoziale Fanart des Black Metals bei flickr, YouTube und Vimeo“ , in dem relativ wilde und unverbundene Vergleiche zwischen Black Metal-, Emo- und HipHop- Ikonographie (aber auch zwischen Gaahl und Knut dem Eisbären…) gezogen werden, merkt man an, dass die Beschäftigung der Autoren mit der Thematik nur an der Oberfläche gekratzt hat; dementsprechend kommt man hier auch zu keinem besonders aufschlussreichen Ergebnis.
Andere Aufsätze wie der von Julia Eckel zum Thema „Kutte & Co – zur textilen SchriftBildlichkeit des Heavy Metal“ lesen sich erstens sehr gut, ohne unwissenschaftlich zu werden, und machen genau das, was Wissenschaft tun sollte: Neue, interessante Erkenntnisse vermitteln. Das gilt für die meisten Beiträge, so zum Beispiel für Jan Leichsenrings Aufsatz, der sich mit antimodernen Topoi im (Black)Metal beschäftigt. In seinem sehr reflektierten Beitrag kontrastiert er die innere und äußere Sicht auf den Black Metal, den er als „Suche nach dem Eigenen und Eigentlichen“ versteht. Er stellt den Bezug des Black Metal zum Begriff des Erhabenen nach Edmund Burke her und trägt u. a. so dazu bei, Metal als ernst zu nehmende, bzw. innerhalb eines weit über den Metal hinausgehenden Bezugsrahmens existierende Kulturleistung (an)erkennbar zu machen. Jan Leichsenring schafft es außerdem, die Berührungspunkte von Black Metal und Neofaschismus aufzuzeigen, ohne Black Metal als Ganzes in die rechte Ecke zu stellen – eine Kunst, von der sich mancher was abgucken könnte.
Nur eine einzige Band schafft es, in einem eigenen Beitrag behandelt zu werden, und das sind – sehr zeitgeistig – Wolves In The Throne Room. Sascha Pöhlmann analysiert die Texte des Albums Two Hunters, das er als „environmental poem“ versteht, und setzt sie in Bezug zur amerikanischen Romantik des 19. Jahrhunderts. So kann er zeigen, weshalb die oft kontrovers diskutierten WITTR als wichtige Erneuerer des Black Metal und als die letzten Rebellen mit globalem, universalem Anspruch innerhalb eines Genres gelten können, das in seinen eigenen „ideologischen Sackgassen“ stecken geblieben ist.
Die Spannbreite der Schreibstile reicht von extrem elaboriert bis leicht verständlich. Ein bisschen entsteht dabei der Eindruck, dass Metal Matters nicht so genau weiß, an wen es sich eigentlich richtet: An ein Fachpublikum? An den gemeinen Metalfan? Bestenfalls an beide. Die Beiträge sind insgesamt sehr spannend und bieten viele Ansätze, sich weiter (wissenschaftlich) mit dem Thema „Metal als Kultur und Welt“ zu beschäftigen. Der Band zeigt an vielen Stellen aber auch das auf, was eigentlich selbstverständlich ist, gerade für Leser, die sich selbst innerhalb der Metalkultur bewegen. Nicht jeder wird diese Selbstbeschau brauchen, denn für viele ist ja mit der Musik schon alles gesagt.
Das Thema „Frauen im Metal“ wird in keinem der Beiträge besonders behandelt. Ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen ist bleibt schwierig zu sagen. Heißt es, dass Frauen so sehr als Teil der Szene wahrgenommen werden, dass sie nicht mehr besonders erwähnt werden und als „der Sonderfall“ behandelt werden müssen – oder werden sie von den Forschern einfach nicht wahrgenommen? In jedem Fall fällt auf, dass von den 32 Autoren nur fünf weiblich sind.
Es wird spannend sein zu sehen, welche Wirkung Metal Matters hat – wird damit ein ganz neues Forschungsgebiet begründet („Metal Studies“)? Oder ist und bleibt das ganze nur eine Spielerei von Forschern, die sonst ganz anderes auf dem Schirm haben? Wir sind gespannt.
Man merkt den Autoren, die ja möglicherweise selbst zu einem großen Teil Fans sind an, dass es ihnen Riesenspaß gemacht hat, einmal mit theoretischem Sezierbesteck an ihr Herzensthema zu gehen und zu sehen, was dabei herauskommt.
Und was kommt dabei heraus, wenn man Metal seziert?
Es wäre gut gewesen, wenn die Herausgeber diese Frage selbst noch einmal in einem Nachwort aufgegriffen und eine Bilanz aus den sehr vielen, sehr unterschiedlichen Beiträgen gezogen hätten. Aber vielleicht geht das auch gar nicht, denn was die Einleitung schon angedeutet hat, macht der Band auf jeden Fall klar: Metal ist einfach zu komplex, um mit wenigen Worten beschrieben zu werden.