Bericht von der Tagung an der Wiener Universität für Musik und darstellende Kunst
(07.–08.06.2013)
Eine wichtige Rolle in der noch jungen Metalforschung spielt die 2010 begonnene Tagungsreihe Hard Wired, die nun in die dritte Runde ging. Diesmal wurde das metallische Arbeitsgespräch von »Frau Doktor Death Metal« (SPON) Sarah Chaker organisiert und am 7. und 8. Juni 2013 an der Wiener Universität für Musik und darstellende Kunst ausgerichtet. Unter dem Titel »Heavy Metal and Society« sollte dieser in größeren Zusammenhängen betrachtet werden, in die er eingebettet ist. Denn Metal und Gesellschaft stehen sich ja nicht einfach gegenüber, sondern Metal gehört zur Gesellschaft. Sarah Chaker wies deshalb darauf hin, dass Metalforschung gerade deshalb relevant ist, weil sie Erkenntnisse über Gesellschaften gewinnt, in denen Metal auftaucht. Vorgetragen wurden einerseits Ergebnisse metalbezogener Arbeiten, andererseits Überlegungen dazu, welche Modelle und Begrifflichkeiten sich für die Auseinandersetzung mit Metal eignen. Denn Untersuchungsgegenstände sind nicht einfach so da, sondern sie hängen auch davon ab, wie man über sie spricht, schreibt, denkt.
Metal inmitten der Gesellschaft
Selbstdarstellungen und Konstitutionsprozesse allgemein der »schwarzen Szene« nahm Tina-Berith Schrader unter die Lupe. Ihre Feldforschungen zeigen, wie sich Gothic- und Metal-Fangruppen von der »Mainstreamgesellschaft« und von anderen Fangruppen abgrenzen, z.B. über die Abwehr von Vorurteilen und gesellschaftlicher Vereinnahmung und dem Artikulieren von Wertvorstellungen, in denen die Szene als fürsorgliche Idealgesellschaft erscheint. Die Entgegensetzung von Szenewelt und Alltagswelt suspendiert den Alltag, und die Abgrenzung ist eine Möglichkeit des Umgangs mit der Umwelt und ihren Reaktionen. Dabei wurde auch deutlich, dass die Befragten tendenziell anders antworten, wenn sie die Interviewerin als Szeneangehörige oder als »Außenstehende« wahrnehmen. Das ist einerseits eine Erkenntnis über das Funktionieren einer Szene, andererseits muss damit methodisch umgegangen werden, damit Forschung nicht auf Selbstbeschreibungen hereinfällt.
Dem Erforschen von Selbstverständnissen steht das theoretische Beschreiben einer Szene zur Seite, das nicht von deren Selbstbeschreibungen ausgeht. So zeigt Metal in einer Perspektive viele Gemeinsamkeiten mit anderen Szenen, wie Katharina Seßler und Florian Süssenguth systemtheoretisch darlegten. Metal nutzt soziale Infrastrukturen und Kulturtechniken, und wie andere Musikszenen erfüllt auch Metal soziale Funktionen. Musik kann bspw. ein Ausdruck persönlicher Befindlichkeiten und eine Weise des Umgangs mit ihnen sein: Fühle ich mich unverstanden, kann mich Metalpower ebenso ansprechen wie Gothicmelancholie oder Reggaefrohsinn, je nachdem, wie ich mit dem Unverstandensein umgehe.
Wenn es natürlich bei der Funktionsbetrachtung bliebe, käme die Theorie schnell in der Nacht an, in der alle Kühe schwarz sind. Denn wenn sich die Funktionen einer Vielzahl von Kulturphänomenen gleichen, fragt es sich, weshalb sich diese zuvor abgrenzen ließen. Die Besonderheiten einzelner Szenen dürften sich eher in anderen Perspektiven zeigen. So unterscheiden sich Szenen (voneinander und gegenüber Mainstreamkulturen) im Gebrauch kultureller Zeichen, der im Metal von der Instrumentierung über die Themen der Lyrics bis hin zu schwarzen Shirts mit seltsamen bunten Aufdrucken und dem Verhalten bei Konzerten reicht. Daraus ergibt sich seine inhaltliche Bestimmung gegenüber seinen austauschbaren Funktionen.
Bedeutungsökonomien lassen sich z.B. in Fanzines nachvollziehen, wie ich auf der Tagung ausführen durfte. Fanzines zeigen etwa Selbstinszenierungen von Teilen der Metalszene, die in Kioskmagazinen weniger vertreten sind, und als Nischenmagazine weisen sie auf Überschneidungen mit anderen Szenen hin. Dabei heben sich Fanzines ästhetisch und inhaltlich häufig von Kioskmagazinen ab, sind eine Möglichkeit der Partizipation von Fans am Projekt Metal und schaffen Distinktion, indem sie auf eine tiefere Integration von Mitarbeitern und Lesern in die Sozialwelt Metal hindeuten.
Esteban Sanchino Martinez wandte Bourdieus Theorem der sozialen Felder auf den Metal an. Wie die Hochkultur fordert Metal den Geschmack des breiten Publikums heraus, wie in der Massenproduktion orientiert man sich am ökonomischen Gewinn und am sofortigen Erfolg. Als „erweitertem Subfeld“ zwischen den Feldern von Mainstream und Hochkultur kommt Metal u.a. das Merkmal zu, viel symbolisches, weniger ökonomisches Kapital zu generieren: Es gibt wenige Großverdiener, aber selbst Undergroundbands erfahren kultische Verehrung. Dass es dazu kam, sei den »äußeren und internen Rahmenbedingungen sowie dem Habitus der genreprägenden Bands zu verdanken«: den ökonomischen, politischen, sozialen Zeitumständen, den weiteren Stilentwicklungen und den Herkunftsmilieus maßgeblicher Bands.
In der Anwendung des Kulturindustriekapitels der »Dialektik der Aufklärung« von Horkheimer und Adorno auf den Metal kommt Fritz-Fabian Soll zu ernüchternden Schlüssen. Das Dagegensein, das Eskapistische und Undergroundige des Metal ist nur scheinbar, er wird genauso verwertet wie alle andere Musik. Metal sei, so die Arbeitshypothese, »mit allen anderen Bestandteilen« der Kulturindustrie »in der Art seiner Verwaltung, Vermittlung und Hervorbringung von Kulturwaren ident.« V.a. wird Metal ebenso schematisiert und quantifiziert wie andere Kulturwaren auch. So dient die Unterscheidung der vielen Subgenres auch der maximalen Erreichbarkeit potentieller Konsumenten. Grenzüberschreitungen werden schon von der Kulturindustrie propagiert, sie ergeben neue Genres und Nischen, die wieder von der ihr erfasst werden. Eventuell wird aber z.B. durch das Anbieten kostenloser Downloads der ökonomische Schematismus durchbrochen, sodass sich fragen lässt, ob Metal Tendenzen aufweist, autonome Kunstwerke zu schaffen, die also nicht das immer Gleiche reproduzieren.
Metal, Politik und Religion
›Metal und Religion‹ wurde von Anna-Katharina Höpflinger und Florian Heesch in zwei Blickrichtungen betrachtet: Wie sieht Metal Religion und umgekehrt. So zeigte das Beispiel des bislang einzigen schweizerischen Metal-Pfarrers Interdependenzen zwischen persönlichem Geschmack, Glauben und Institutionalität. Nichtchristliche Metalfans könnten neue Sichtweisen auf das Christentum finden, und christliche Metalbands werden in einem kirchennahen Netzwerk unterstützt. Zudem sollen die dortigen christlichen Metalfans, die eher einen freikirchlichen Hintergrund haben, an die evangelisch-reformierte Kirche herangeführt werden. Ohne ein persönliches Interesse am Metal würde man all den Aufwand aber wohl nicht betreiben. – Gegenüber diesem institutionell geprägten Bereich illustriert neuheidnisch konnotierter Metal Religion als System von Kultur und Identität. So repräsentieren TYR mit ihren Volksliedadaptionen die modernen, säkularen Färöer, verleihen ihrer Musik aber über Texte, Artwork usw. einen paganistischen Bekenntnischarakter. Weitere Arbeiten könnten untersuchen, inwiefern ein für Religion typischer Transzendenzbezug im (Pagan) Metal artikuliert wird. Nach meinem Dafürhalten ist der nur selten vorhanden, und vielleicht ist deshalb der Neopaganismus, wie er im Pagan Metal erscheint, eher als Karneval denn als Religion zu verstehen.
Zur politischen Dimension des Metal stellte Rainer Sontheimer die so provokante wie berechtigte Frage, ob Metal nicht »die schwarze Seite des Spießbürgertums« ist. Struktur- und wertkonservativ ist die Pflege von Verhaltenskodizes, von Ritualen und Ordnung bei Festivals, die Thematisierung von Göttern, Mythen, Glauben, der Respekt vor Göttlichkeit und Schicksal. Mit Metalkreuzfahrten wurde die wohl spießigste Urlaubsform überhaupt übernommen. In Foren diskutieren Fans, wie allen möglichen Unwägbarkeiten vorzubeugen ist, die auf Festivals auftauchen können, und der Naturverliebtheit mancher Bands entspricht ökologisches Bewusstsein, sodass heute kein größeres Festival mehr ohne Veggie-Verpflegung auskommt und Green Camping angeboten wird.
Nun sind zwar Kreuzfahrten, auch wenn sie im Metal randständig sein mögen, ein Beispiel für die Übernahme bürgerlicher Verhaltensweisen. Jedoch fragt sich auch, was die Beschreibung von Metal als etwas Konservativem über den Konservatismus aussagt. Was ist geschehen, wenn nun schon Risikominimierung und Naturschutz konservativ sein sollen? Zumeist riefen doch Konservative nach Eigenverantwortung statt Sicherheit und interessierten sich für Naturschutz erst dann, wenn der Wert des eigenen Grundstücks davon abhing. »Die Welt ist im Wandel«, wie schon Tolkien sagte.
Anderweitig konservativ ist Metal zuweilen in Inszenierungen von Geschlecht und Ethnizität – denken wir an Bilder von Gewalt und männlicher Selbstbehauptung im nordischen Winter, die einem Conan-Comic entsprungen sein könnten. Dunja Brill zeigte aber, dass der Umgang mit solchen Motiven und ihre Aneignung nicht immer reaktionär sein müssen, sondern auch subversiv und progressiv sein können: Masha Scream von ARKONA ist nicht nur die Bandchefin, sondern gibt auf der Bühne die wilde Kriegerin, und dieses Aufbrechen hypermaskuliner Stereotype scheint für die Fans zu funktionieren. Zudem sind Intention und Interpretation verschiedene Dinge: Kippt das männlich-martialische Posieren von IMMORTAL auf dem Cover von »Pure Holocaust« nicht schon ins Parodistische um? Gerade weil heute Normen von Geschlecht und Ethnizität gesellschaftlich verschleiert werden, so die Referentin, kann ihre demonstrative Aufnahme als Ideale im Black Metal oder im Industrial zur kritischen Auseinandersetzung anleiten.
Wie selbstreferentiell der rechte Rand und die rechtsoffenen Teile der Szene funktionieren, führte Matthias Burgard u.a. mit der Analyse von Diskussionen in Internetforen vor. Über antifaschistische Aktionen gegen rechte Metal-Akteure informieren sich rechte Szenegänger in rechten Foren und übernehmen Schutzbehauptungen. Allgemeine Mechanismen rechter Selbststilisierung setzen sich auch im Metal fort. Besonders beliebt: Man reklamiert für sich die Opferrolle einer verfolgten Minderheit, weil die »politisch Korrekten« einen daran hindern, Minderheiten zu verfolgen. Auch darin zeigt sich die Heterogenität der Metalszene.
Hörerschaften, Differenzierung und Globalisierung des Metal
Wer hört eigentlich Metal? Matthias Lehmann befragte die Besucher einer Kammermusikveranstaltung und eines Konzerts der Neuen Musik, welche anderen Musikstile sie noch hörten, und fast jeder Fünfte kreuzte auch Metal/Hardcore/Punk an. Eine klare Aufteilung in »älteres, privilegiertes Publikum – klassische, ernste Musik« und »junges Publikum – Unterhaltungsmusik« besteht hier also nicht. Interessant wäre es, in künftigen Erhebungen Metal als eigene Kategorie anzubieten, um genauere Aussagen darüber treffen zu können, welcher Prozentsatz des Klassikpublikums sich für welche Stromgitarrenmusik begeistert. Die Besucher eines Metallica-Konzerts waren in ihrem Geschmack übrigens eingeschränkter als die Klassikhörer und wollten, anders als diese, gerne auch bestimmte Musikstile verbieten. (Besonders Techno.)
Das Aushandeln von Kriterien, nach denen bestimmt wird, ob etwas Metal ist oder wie es zum Metal steht, ob bestimmte Eigenschaften ein Subgenre markieren usw. stellten Andreas Salmhofer und Frederic Luftensteiner anhand von Grindcore und Djent dar. Am Herausbilden von Djent als Subgenre zeigt sich der Einfluss »neuer Kommunikations- und Informationstechnologien auf Aspekte der Produktion und Distribution dieser Musik«. Die Benennung einer Musik als Djent vollzieht sich besonders in Online-Diskursen, was einer gewissen Virtualität der Djent-Szene zu entsprechen scheint, und besonderer Wert liegt auf »technologischen und spieltechnischen Hintergründen der Musikproduktion«. Das Betonen musikalischer Komplexität geht soweit, dass sich das Publikum auf Konzerten kaum bewegt, um genau auf das Spiel der Musiker zu achten. Ganz anders beim Grindcore, der sich schon immer durch Nähe und Distanz zum Metal auszeichnete. Das führte Andreas Salmhofer auf die Verarbeitung von Elementen des Crustpunk und Hardcore-Punk wie auch des Death/Thrash Metal zurück. Dadurch finden sich auf Grind-Konzerten Metalheads mit Punks und Hardcore-Fans zusammen, und Grindcore erscheint als eigener Diskurs neben Punk und Metal. Während im Metal gegen Drachen und Windmühlen gekämpft wird, bezieht Grindcore seine inhaltliche Drastik aus provozierender »Dokumentation« von »gesellschaftlichen, moralischen und politischen Modellen der Moderne/Postmoderne«. Auch dass Grinder tendenziell weniger Probleme mit Drumcomputern haben, kann Metaller auf Distanz gehen lassen. Hier mag der Arbeitsethos des Handgemachten durchscheinen, der vielleicht von den Metal-Großvätern aus den britischen Industriestädten mitgebracht wurde. Und woher rührt eigentlich die Fixierung beträchtlicher Teile der Metalszene auf das Alte – z.B. im Neo-Thrash, der immer oldschool war, oder im Vintage Rock, der eine vierzig Jahre alte Hardrock-Ästhetik aufgreift? In solchen Retro-Phänomenen, so Uwe Breitenborn, tritt Rückbesinnung als Innovationsstrategie auf. Charttaugliche Produkte seien oftmals profanisierte Metal-Waren, und Retro will als Gegenbewegung eine Essenz thematisieren, die role models des Metal, und sucht Authentizität, Ursubstanz und Ursprung.
Metal in der Kaukasusregion, in Georgien und Kenia betrachteten Manuel Trummer, Dominik Irtenkauf und Ekkehard Knopke. An den dortigen recht kleinen und teils sehr jungen Szenen stellten sie heraus, wie der Metalcode übernommen wird und welchen transformativen Grenzen er begegnen kann: Was soziokulturell typischerweise zum Metal gehört, lässt sich heute auch in Nairobi per Internet in Erfahrung bringen, aber dieser Code wird religiös, politisch und kulturell angepasst. Teilweise können Code-Bestandteile wie schwarze Shirts, lange Haare usw. durch sozialen Druck nicht umgesetzt werden. Hinzu kommen momentan noch fertigkeitsbedingte, technische und kommunikative Grenzen (etwa der mangelnde Kontakt zu Fans außerhalb Kenias). Während skandinavischer Black Metal sich gegen die Gesellschaft stellen wollte, fügen sich heutige armenische Bands in die staatliche Gedächtnispolitik ein (türkischer Genozid an den Armeniern, Bergkarabachkonflikt usw.). Im multiethnischen Georgien hingegen greifen die Bands kein nationales Erbe auf. Metal akkulturalisiert sich, sodass die Herausbildung neuer lokaler Metalvarianten nicht nur in musikalischer Hinsicht zu erwarten ist.
Die Schwierigkeiten mit Infrastruktur und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zeigen Parallelen zum Metal in der DDR der 80er Jahre, den Wolf-Georg Zaddach als soziale Praxis untersuchte. Da Metalplatten nur schwer zu ergattern waren, war bspw. das Tapetrading besonders wichtig und verdichtete szeneinterne Beziehungen. Die Quellenlage ist durch die Archive des MfS besonders gut, das Informationen über Konzerte, Westkontakte usw. sammelte. Dabei zeigt sich auch, wie heterogen autoritäre Systeme in sich sein können, wie sie gleichzeitig Repression und Integration anstreben und welche Freiräume sich dabei bilden können. Die Staatssicherheit bewertete die Metalszene als »negativ-dekadent«, aber mitunter wurde Metal im Radio gespielt, und die Thrasher BIEST gewannen einen Tanzmusikwettbewerb. Interessant wird sein, ob das Projekt des Referenten »über den Rahmen des DDR-Kontextes hinaus eine Perspektive auf die ›Lebenswelt Heavy Metal‹ anbieten können« wird.
Bleibt zu sagen, dass eine Stärke der Tagung in der Vielzahl der vertretenen Fachrichtungen und damit der Perspektiven bestand, aus denen Metalphänomene betrachtet wurden. Der geplante Sammelband zur Tagung dürfte damit nicht nur für die Sozial- und Kulturwissenschaften interessant sein, sondern auch Metalfans einiges mitteilen, was sie nicht ohnehin schon wissen. Und wie es scheint, muss die wissenschaftliche Metalarbeit die Begeisterungsfähigkeit beteiligter Fans nicht unbedingt mindern. Am Abend der ersten Tagungseinheit fand im Escape-Metalclub ein Konzert stand, zu dem die ReferentInnen eingeladen waren, und die Nachricht, dass kurzfristig ROOT als Headliner-Ersatz eingesprungen waren, wurde mit einem lauten »Boah!« aufgenommen.
(Die Zitate stammen, wenn nicht anders angegeben, aus dem Programmheft zur Tagung.)
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Jan Leichsenring